Immer mehr Konzerne setzen Patente dazu ein, um ihre Wettbewerber auf Abstand zu halten oder durch wechselseitige Lizensierungen gemeinsam Märkte zu erschließen. Dabei stellen sich sowohl rechtliche als auch praktische Fragen, die Patentrechtsexperte Christoph Jonas exklusiv für Digitorney beleuchtet hat.

 

Herr Jonas, wenn wir uns in der Lebenswirklichkeit umschauen, stoßen wir immer wieder auf LED – ein Markt, im dem Sie seit vielen Jahren rechtsberatend tätig sind. Worin liegt in dieser Branche das größte Zukunftspotenzial?

Jonas: Entscheidend ist und wird verstärkt die Vorschalttechnik sein, mit der sich z.B. die Farbtemperatur filigran einstellen lässt und mit der sich auch Daten erheben lassen. Genau hier investieren die großen Anbieter momentan. Wer spezielles Know-how aufbaut und innovative Produkte liefert, wird langfristig eine starke Wettbewerbsstellung haben. Denn mit reiner LED-Produktion lassen sich nur noch geringe Margen erzielen. Um einen Innovationsvorsprung in der Vorschalttechnik zu erreichen, ist Wissensmanagement wichtig. Und da hapert es nach meinem Eindruck bei einigen Unternehmen.

Was genau kann und sollte im Wissensmanagement verbessert werden?

Jonas: In meiner Beratungspraxis erlebe ich immer wieder, dass die an der Innovation beteiligten Ingenieure zu wenig miteinander sprechen – das sehe ich in verschiedenen Branchen. Würden hingegen das Wissen, die Erfahrungen und der aktuelle Stand einer Erfindung über einen zentralen Datenraum geteilt, wäre dies für die Innovationskraft eines Unternehmens wirklich hilfreich. Hier kann man von asiatischen Herstellern lernen, die ihr Know-how divisonsübergreifend bereitstellen, so dass sich Innovationen auch in anderen Bereichen einsetzen lassen. Europäische Konzerne sollten ihre internen Silos digital besser vernetzen, um die Innovationskraft zu steigern.

Innovation zu stärken, erfordert aber auch einen effektiven Schutz des geistigen Eigentums. Wie hat sich die Digitalisierung auf den gewerblichen Rechtsschutz ausgewirkt?

Jonas: Die Digitalisierung hat es erst möglich gemacht, dass in vielen Branchen die Innovationsdynamik aufgrund eines ständigen Wissenstransfers stark zunehmen konnte. Deshalb verändert sich der Stand der Technik immer schneller und die Produktzyklen werden kürzer. Dadurch bedingt wandelt sich auch der Zweck von Patentierungen.

Inwiefern?

Jonas: Diente der gewerbliche Rechtsschutz ursprünglich der Belohnung besonderer geistiger Leistung und deren Kommerzialisierung, so wandelt sich dies momentan zunehmend in die Protektion des eigenen Geschäftsbereichs. Immer mehr Unternehmen verfolgen das Ziel, durch Patentschutz eine technologische Monopolstellung zu erlangen. Patente werden immer öfter strategisch eingesetzt, um Wettbewerber auf Abstand zu halten bzw. bestimmte Marktnischen abzuschotten.

Aber was passiert in der Praxis, wenn zwei Wettbewerber mit ähnlichen Patenten aufeinander treffen und sich keiner von beiden mehr allein abschotten kann?

Jonas: Es kommt natürlich immer wieder vor, dass zwei Unternehmen feststellen, dass sie sich patentrechtlich im Weg stehen. Anstatt langwierige Prozesse zu führen, wählen sie dann oft so genannte Überkreuz-Lizensierungen. Das ist praktisch ein patentrechtlicher Nichtangriffspakt durch wechselseitige Nutzung von Lizenzen. Auf diese Weise kann man sich gemeinsam abschotten.

Sind Überkreuz-Lizenzen denn nicht kartellrechtlich problematisch?

Jonas: Ja, das kann mitunter ein Problem sein. Deshalb ist bei der Gestaltung des Lizenzvertrags zu prüfen, ob in dem relevanten Markt eine marktbeherrschende Stellung durch die Überkreuz-Lizenz geschaffen wird. Hier greifen patent-, wettbewerbs- und vertragsrechtliche Beratung ineinander.

Was geschieht, wenn der Inhaber eines Patents bereits eine Monopolstellung hat und niemand ohne dessen Patent etwas Neues entwickeln kann?

Jonas: Die Juristen sprechen dann von „standard-essenziellen Patenten“. Diesen liegt Know-how zugrunde, auf das jeder zwingend zurückgreifen muss, um ein Patent entwickeln zu können. Solche Konstellationen kennen wir zum Beispiel aus der Pharmabranche, wo zur Entwicklung von Impfstoffen ein bestimmter Hemmer zwingend erforderlich ist. Weil ohne diesen kein Impfstoff entwickelt werden kann, werden so genannte FRAND-Lizenzen gewährt, das heißt der Inhaber des standard-essenziellen Patents für den Hemmer ist gesetzlich verpflichtet, jedem Marktteilnehmer die Nutzung zu fairen und gleichen Bedingungen anzubieten.

Wie lassen sich Patente sonst noch strategisch einsetzen?

Jonas: Patente werden mitunter auch genutzt, um Details über ein Produkt von Wettbewerbern zu erfahren. Dazu wird Klage wegen einer Patentrechtsverletzung erhoben und vorgetragen, dass es Erkenntnisse gibt, wonach der Beklagte von der Lehre des Patents Gebrauch macht. Dann muss der Beklagte erklären, warum er das Patent nicht verletzt – und gibt damit technologische Details preis, die nicht öffentlich bekannt sind. Die Ursache hierfür liegt im Gerichtsverfassungsgesetz und in der Zivilprozessordnung.

Wie kann der Beklagte vermeiden, zuviel Know-how preiszugeben?

Jonas: Durch das „Düsseldorfer Verfahren“. Es sieht vor, dass beide Parteien eine gerichtliche Vertraulichkeitsvereinbarung schließen. Erkenntnisse aus dem Verfahren erhalten nur die Anwälte beider Parteien und maximal vier Personen auf der Klägerseite. Zugleich wird eine Vertragsstrafe von 1 Million Euro vereinbart. Wenn sich der Kläger darauf nicht einlässt, wertet das Gericht dies als Beweisvereitelung zu Lasten des Klägers.

Wird das Düsseldorfer Verfahren zum Marktstandard?

 Jonas: Das Verfahren wurde vom Oberlandesgericht Düsseldorf entwickelt und bisher nur von diesem angewandt. Ob es sich durchsetzt, wird sich weisen. Im Patentrecht gilt das Prinzip des fliegenden Gerichtsstands, das heißt der Kläger kann auch an anderen Gerichten klagen. Aber es besteht die Möglichkeit, dass der Beklagte die Nutzung des Düsseldorfer Verfahrens auch vor anderen Gerichten anregt.

Herr Jonas, als Anwalt sind Sie täglich mit Patenten befasst. Welche Herausforderungen bringen die von Ihnen geschilderten Entwicklungen für einen externen Berater mit sich?

Jonas: Wenn man als externer Berater dazu beitragen soll, dass sich das Wissensmanagement verbessert und dass darüber hinaus Patente strategisch eingesetzt werden, ist interdisziplinäres Denken und Handeln entscheidend. Um neue Impulse zu geben, muss man über den fachlichen Tellerrand blicken und im Unternehmen auf jeder Ebene den Wissensstand herausarbeiten: mit Ingenieuren, Marketing-Experten, Juristen und der Geschäftsführung. Zudem braucht es ein klares Verständnis von der Strategie des Unternehmens und der Wettbewerbssituation. Das macht die Arbeit anspruchsvoll und spannend zugleich.